So viel Leere war selten in der Städtischen Galerie Neunkirchen. Mitten im großen Ausstellungssaal stehen hohe Ausstellungswände, doch sie bilden nicht wie gewöhnlich ein zentrales Kabinett. Sie thronen als raumfüllende Skulptur im Saal und lassen sich durchschreiten. Auf die weißen Wände sind in strengem Raster 16 hauchdünne Schichten aus farbigem Seidenpapier genagelt. Anfangs noch in Orangetönen werden nun jede Woche Blätter abgenommen und geben den Blick auf die darunter liegenden andersfarbigen Schichten frei. Es werden lineare Formen und Muster entstehen, aber auch Flächen, welche die Künstlerin mit ihren Studierenden erdacht hat. Ein Bild entsteht, löst sich auf und verschwindet, neue scheinen auf und vergehen wieder.
„Die Vorbereitung war unglaublich“, erzählt Hinsberg, „wir haben das ein bisschen unterschätzt. Die Zuschnitte des Papiers anzufertigen und jede Schichtung mit zwei Nägeln zu fixieren, war eine Affenarbeit.“ Die Künstlerin beschreibt das Werk als Malerei mit anderen Mitteln mit einem fast bildhauerischen Ansatz. Tatsächlich wird ähnlich wie bei einem Stein in einem subtraktiven Verfahren Material abgetragen, um Bilder entstehen zu lassen. Schon mehrfach hat Hinsberg seit 2015 solche Arbeiten gezeigt, erstmals aber ist das Werk begehbar konzipiert und nicht an den Außenwänden des Raumes.
Hinsberg ist Professorin für Konzeptuelle Malerei an der HBKsaar, sie arbeitet aber in einem Atelier in der Raketenstation Hombroich bei Neuss. Geboren wurde sie 1967 in Karlsruhe, die Eltern waren beide Kunsterzieher. Gute Voraussetzungen also für eine Karriere in der Kunst. Studiert hat sie dann in München, Dresden und Bordeaux. Wie kam sie an den Niederrhein? „Ich war 2002 mit meinem Mann Oswald Egger von der Stiftung zu einem Gastaufenthalt eingeladen worden und daraus hat sich eine Langzeiteinladung ergeben“, erzählt sie und schwärmt von dem Ort.
Die zentrale Arbeit in der Städtischen Galerie ist eine aus der Serie „Feldern (Farben)“ und eigentlich ungewöhnlich für die Künstlerin, die vor allem mit der Linie als formalem Element arbeitet. Sie begann damit schon während des Studiums in Dresden, das damals noch sehr stark akademisch geprägt war: „Ich beschäftigte mich intensiv mit Figur und Grund – ein klassisches Bildthema. Dann begann ich die Elemente der Bilder aus dem ursprünglichen Zusammenhang herauszuschneiden und stellte mir die Frage, wie ich die einzelnen Elemente wieder zusammensetzen kann.“ Über die Dekonstruktion der Bilder näherte sie sich dem Bildgegenstand und der Komposition an. Dabei kam auch die Frage nach Raum, Hintergrund und nach der Durchlässigkeit des Bildes auf: „Für mich war das Schneiden immer auch die Möglichkeit, das Zeichen und die Geste zu hinterfragen. Was ist das Bild, was Hintergrund und was Vordergrund.“
Bildgrund und Inhalt werden immer wieder auf Neue untersucht. Ein ausgeklügeltes Spiel aus Zufall und Eingriffen der Künstlerin spielt eine Rolle, eingerahmt von festen Regeln, ohne den mathematischen Grundsätzen der Konkreten Kunst zu verfallen. Es ist ein ständiger Dialog von Werk und Künstlerin, an dem uns Hinsberg teilhaben lässt.
Auf der Empore im Obergeschoss zeigt die städtische Galerie einen Überblick über das Werk der letzten Jahre. Aus Überbleibseln anderer Arbeiten schuf Hinsberg kompositorische Arbeiten. Einige Blätter, die sie während des Zeichnens als Schutz auf den Zeichengrund legte, zeigen an den Rändern Schraffuren, die sie zu seismischen Linien arrangiert. Der „Rahmen“ bzw. Rand des Bildes wurde zum Bildinhalt. Auch das eines der Themen, welche die Künstlerin beschäftigten. In anderen Arbeiten zeigt sie gestische Liniengeflechte, die sie als Cutouts an die Wand hängt. In einer weiteren Serie malt sie vertikale Streifen und schneidet dann Löcher in die Bildfläche, so dass vibrierende Flächen entstehen. Manchmal schneidet sie kurze Linien in Zeilen aus dem Papier und schält einen Rhythmus aus dem Material, der nur über die Schnittrichtung Schattierungen entstehen lässt. Betörend schön.
In andern sind aus Rechtecken zusammengesetzte Linien, die über das Blatt mäandern, bis sie zum Rand oder eine andere Linie kommen und dann abbiegen, um sich bis zur nächsten Begrenzung aufzumachen. Farbe setzt sie in diesen Arbeiten sehr sparsam ein. Meist nutzt sie Rot oder ein Rotorange: „Ich möchte Assoziationen an Wasser oder Landschaft meiden. Das Rot ist ein Signal. Es ist aber auch die einzige Farbe, die wir mit geschlossenen Augen sehen. Rot ist die Farbe, die uns aus meiner Sicht am nächsten ist.“ Auf den weißen Wänden beginnt das Rot zu leuchten.
„Katharina Hinsberg. Die Teile und das Ganze“, bis 28. September 2025, Städtische Galerie Neunkirchen
Öffnungszeiten
MI-FR 10 bis 18 Uhr
SA 10 bis 17 Uhr
SO und Feiertage 14 bis 18 Uhr