Wenn wir heute in Westeuropa an die Staaten des Westbalkans denken, dann denken wir vor allem an die Jugoslawienkriege Anfang der 1990er-Jahre. Für die Menschen jener Länder war dies eine traumatische Erfahrung, die sie bis heute begleitet. Doch die Region ist längst weiter und will nach vorne schauen. Das beweist die Ausstellung „Contemporary Balkan Transition“ in der Galerie Pusić.
Es wird noch lange brauchen, bis die Staaten des Balkans wirklich spannungsfrei zusammenleben, noch immer brodelt es gelegentlich in Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo, noch immer sind viele Traumata kaum aufgearbeitet. Spricht man mit den Künstlerinnen und Künstlern, wird aber auch klar, dass man nach in die Zukunft blickt. Nicht allein die Transitionsprozesse vom autokratisch regierten Jugoslawien hin zu demokratischen Zivilgesellschaften treibt die Künstler um, sondern universelle Themen, die uns alle beschäftigten: Wie wollen wir leben und wie soll unsere Welt zukünftig aussehen?
Kuratorin der Ausstellung ist die serbische Galeristin Marija Milošević, die in Belgrad die Galerie „Art for all“ betreibt und als gut vernetzt gilt. Sie hat es geschafft, acht Künstlerinnen und Künstler aus Bosnien und Herzegowina, aus Serbien, Montenegro, Slowenien und Kroatien zu versammeln und damit einen Querschnitt der „Balkankunst“ zugänglich zu machen.
Der bosnische Künstler Ognjen Tepavčević verarbeitet seine Erfahrungen des Krieges, den er in Sarajevo erlebte und vor dem er nach Serbien flüchtete. Er zeichnet das vielleicht eindrücklichste Bild einer Gesellschaft im Umbruch. Er malt vor allem junge Menschen. Sie gehen aus, sie feiern und doch herrscht eine seltsam melancholische Stimmung. Nicht selten sind Spuren von Krieg oder Gewalt erkennbar. Es ist eine Jugend in einer sich in Auflösung befindlichen Welt. Die Werke spiegeln Einsamkeit und Entfremdung und sind Ausdruck der kollektiven Psyche des Balkans.
Vladislav Šćepanovićs Themen sind ähnlich, seine Herangehensweise aber eine ganz andere. Der Montenegriner macht sich Bilder aus den Massenmedien zu eigen und überführt sie in traditionelle Malerei. Dabei setzt er häufig Fragmente aus Zeitungen, Filmen oder Werbung neu zusammen und erzählt Geschichten. Im Stil ist er dabei oft nahe an Comics oder Pop-Art, etwa in der Serie „Samurai“. In der Idee ähnlich angelegt sind Jelena Minić Mrdens Werke, die abstrakte Wandobjekte schafft und in diese dann collageartig schwarzweiße Zeitungsbilder setzt oder auch Teile von Computern.
Es fällt auf, dass die Künstler des West-Balkans ein sehr eigenständiges Werk schaffen. Šćepanović und der Serbe Kolya Božović können das erklären: „Die Künstlerinnen und Künstler Ex-Jugoslawiens hatten immer eine besondere Stellung. Obwohl das Land Teil des Ostblocks war, hat es sich in der Kunst nie vom sozialistischen Realismus vereinnahmen lassen. Und man hat zwar immer auch nach Westen geschaut und trotzdem den westlichen Kunstkanon nicht unreflektiert übernommen.“
Božović ist Professor für Wandmalerei. Er arbeitet vor allem mit Techniken, die an Street Art erinnern. Seine Werke sind häufig gesprüht, Schablonen kommen zum Einsatz, zarte Verläufe und harte Kanten in fröhlichen Farben bestimmen seine Bilder. In der Serie „Stilisiertes Spiel“ nimmt er abstrahierte Figuren und lässt sie in wechselnden Konstellationen in Rahmen durcheinanderpurzeln: Spiel oder Ernst? Man kann das als grafische Umsetzung einer Gesellschaft voller sozialer, politischer und ökonomischer Spannungen lesen.
Geradezu ein Fanal ist das ausgestellte Werk von Bojan Šumonja (Kroatien) und Marko Jakše (Slowenien). Sie zeigen das großformatige Gemälde „After the battle all generals are fucked“ (dt. etwa „Nach der Schlacht sind alle Generäle am Arsch“). Das Ende einer Schlacht kennt keine Gewinner. Im Werk breitet sich eine dystopische Welt aus. In dem Schwarz der Nacht glühen letzte Brände. Die einst arkadische Landschaft liegt in Trümmern, Menschen sind nicht sichtbar, dafür bevölkern Kuscheltiere die Küstenlandschaft. Der in die Farbe eingearbeitete Teer verleiht der Dunkelheit ein magisches Schwarz, dass alles Licht einzusaugen scheint.
Die abwechslungsreiche Schau spiegelt eindrücklich die Gedankenwelt der Menschen in der Region. Der Balkan ist im Übergang vom Krieg zum Frieden, von einer postsozialistischen zu einem marktwirtschaftlichen System, befindet sich aber auch in Umbrüchen, die uns alle in Europa betreffen. Es sind Übergangsprozesse von einer postindustriellen Gesellschaft zu einer digitalen. Sozialer Wandel, Entfremdung, Identität und Erinnerung sind allgegenwärtig.
Contemporary Balkan Transition, bis 31. Januar 2026, Gallery Pusic, Saarbrücken