Seitdem Andreas Bayer die künstlerische Leitung des KuBa abgegeben hat, fehlt die kunsthistorische Aufarbeitung der saarländischen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. Ein großer Verlust, denn die Ausstellungen zu Künstlern wie Willi Spies, Max Mertz, Fritz Berberich oder Fritz Zolnhofer lösten regelmäßig Glücksgefühle aus und zeigten fast Vergessenes.
Umso schöner ist es nun, dass der Kunstverein Dillingen hier in die Bresche springt und uns einen der großen saarländischen Künstler des vergangenen Jahrhunderts nahebringt. Der Kunstverein zeigt Arbeiten des Surrealisten Edgar Jené und konzentriert sich ganz auf dessen Frühwerk, das anfangs stark vom Expressionismus beeinflusst ist und allmählich Elemente des Surrealismus aufnahm. Leider offenbart die Ausstellung gerade hier eine kleine Schwäche, denn es fehlt an der Nachvollziehbarkeit von Jenés Abwendung von der realen Welt und sein Eintauchen in Traum und Imagination.
Nichtsdestotrotz ist die Ausstellung ein Glücksfall, denn sie ist dank des Sammlers Hans-Joachim Welsch und der Galerie Elitzer mit 45 Arbeiten reich bestückt mit allerlei Preziosen.
Edgar Jené, der mit Vornamen eigentlich Erhard hieß, wurde 1904 in Malstatt geboren und studierte Anfang der 1920er-Jahre an der Kunstakademie in München. Auffällig ist, dass sich der Künstler früh von den traditionellen Kunstvorstellungen der Akademie verabschiedete. Grund dafür dürfte der Umzug nach Paris sein, wo der junge Künstler ab 1924 studierte.
In Paris kam er erstmals mit den Kubisten und den Surrealisten in Kontakt und begann, deren Ideen zu adaptieren. Aus der Pariser Zeit zeigt die Ausstellung zwei zauberhafte Aquarelle, die mit schnellem Pinselstrich das hektische Leben der Großstadt skizzieren. Im Jahr 1928 kehrte der Künstler zurück nach Saarbrücken und arbeitete hier fortan als freischaffender Künstler. Im folgenden Jahr heiratete er Charlotte Pfaller, die er Coco nannte. Das Paar bekam 1931 den Sohn Tom.
Es war wohl Jenés glücklichste Zeit, die er intensiv in Bildern festhielt. Seine Frau und der gemeinsame Sohn sind häufige Sujets in jenen Jahren. Von ihnen malte zarte Porträts in expressionistischer Ausführung. Häufig sind es Aquarelle, die ganz von der pointierten Farbsetzung und fließenden Linien in reduzierter Formgebung dominiert werden. Es sind tiefe Einblicke in das Seelenleben des Künstlers und sein privates Glück. Intensiv und emotional bannte Jené seine innere Gefühlswelt auf Papier und Leinwand.
Wie so oft gibt es auch bei ihm nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten einen Bruch in der Biografie und im Werk. Seine Arbeiten werden als entartet diffamiert, die Bilder in Museen beschlagnahmt und teilweise zerstört. Im Jahr 1935 emigrierte er nach Wien, um den politischen Wirren Deutschlands zu entgehen. Gemeinsam mit der Autorin Erica Lillegg, die er 1938 heiratete, versuchte er die Gründung einer surrealistischen Bewegung in der neuen Heimat und wurde zum Vorreiter der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“. Mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde die künstlerische Arbeit auch in Wien schwer.
Spätestens mit der erneuten Übersiedlung nach Paris im Jahr 1950 wandte sich Jené nach engen Kontakten zu den Surrealisten immer stärker deren malerischer Agenda zu und gelangte hier zu wahrer Meisterschaft.
Die Ausstellung legt einen Schwerpunkt auf das Werk der 1920er- bis in die späten 1930er-Jahre und lässt die surrealistische Werkphase weitgehend außer Acht. Schon die erste Wand nimmt einem den Atem, dort hängt links das Bildnis einer Nackten in einem Sessel. Jené reduziert aber die realistische Figuration stark und malt den weiblichen Körper als Torso. Daneben ein zartes Aquarell mit einem Porträt der geliebten Ehefrau als sinnliches Wesen. Immer wieder taucht auch der Sohn auf mit seinen blauen Augen, dem runden Gesichtchen und der blonden Mähne.
Natürlich kann auch eine Ausstellung zum Frühwerk nicht ganz ohne surrealistische Arbeiten auskommen. „Fisch und Hand“ aus dem Jahr 1938 ist eine kleine Spielerei, die Gouache „Port Finis Terrae“ aus dem Jahr 1950 eine meisterhafte Umsetzung surrealistischer Ideen – der Hafen am Ende der Welt, wie der Werktitel verrät und wohl eine Anspielung an das Département Finistère am Westzipfel der Bretagne.
Am Ende der Ausstellung zeigt der Kunstverein dann noch einmal ein paar surrealistische Arbeiten, die zwischen Abstraktion und Figuration pendeln und seinen Ruf als herausragenden Surrealisten begründeten. Mit der Schau im Kunstverein hat nun auch der andere Jené ein Denkmal bekommen.
Edgar Jené. Frühe Werke, bis 6. Oktober 2024, Kunstverein Dillingen im Zentrum August Clüsserath, samstags und sonntags 14 bis 18 Uhr