Kunstpreis Robert Schumann 2021: Installationsansicht, Akosua Viktoria Adu-Sanyah, Foto: Oliver Dietze
24. Januar 2022

Ein Ringen um Antworten

Akosua Viktoria Adu-Sanyah gewann im November den Robert-Schuman-Preis. Ein Porträt.

Mit der Installation „Inheritance – Poems of Non-Belonging” gewann Akosua Viktoria Adu-Sanyah den diesjährigen Kunstpreis Robert Schuman Preis und steht nun im Mittelpunkt der Ausstellung in der Stadtgalerie. Mit fotografischen Mitteln hinterfragt die Künstlerin Herkunft und Identität, geprägt von persönlichen Erfahrungen einer außergewöhnlichen Biografie.

Adu-Sanyahs Vater Stephen Kofi kam in den 1970er Jahren aus Ghana nach Deutschland. In nur drei Monaten lernte er Deutsch und konnte sein Studium beginnen. Später verliebte er sich in eine deutsche Frau. Das Paar heiratete und bekam drei Töchter. Als Akosua Viktoria 12 Jahre alt war, ließen sich die Eltern scheiden, die Mutter ging mit der jüngsten Tochter in das Saarland, der Vater lebte in Frankfurt und arbeitete dort als Softwareingenieur in der Luftfahrt. Akosua war hier als Schülerin erfolgreich, nahm an Begabtenförderungen teil, begann schon vor dem Abitur ein Bachelorstudium der Mathematik, das sie aber abbrach.

Nach dem Abitur studierte sie dann von 2009 bis 2015 an der HBK Saar „Media, Art & Design“. In dieser Zeit widmete sie sich intensiv der Fotografie als Medium der Dokumentation von Performances, die mit Raum, Körper und Zeit spielen und zugleich die Wahrhaftigkeit der Fotografie subtil hinterfragen. Schon hier fordert sie sich und ihren Körper, hetzte Treppen hinauf und hinab, stand eine halbe Stunde regungslos in einer Ecke oder versuchte dreißig Minuten so still zu sitzen, dass die Fotografie scharf blieb.

Akosua Viktoria Adu-Sanyah, Foto: Adu-Sanyah Lehrenden sie beeinflusst haben? Adu-Sanyah zögert kurz: „Vorbilder habe ich keine gehabt, aber rückblickend war sicher Eric Lanz wichtig für mich, vor allem, weil er bodenständig war und unsere künstlerische Unabhängigkeit förderte.“  Tatsächlich ist Adu-Sanyahs Werk schon in jungen Jahren eigenständig und unabhängig. Vielleicht auch, weil die heute die heute 31-Jährige schon mit 16 Jahren bei der Mutter auszog und früh auf eigenen Beinen stand. Das Leben als Künstlerin ist hart, so musste sie neben dem Studium eigenes Geld verdienen. Da sie schon im Saarland in der Gastronomie gearbeitet hatte, entschloss sie sich nach Studienabschluss, als Saisonkraft in die Schweiz zu gehen, bis sie an der Hochschule in Luzern eine Stelle als künstlerische Assistentin bekam. Im Jahr 2019 zog sie schließlich nach Zürich und ist seither freischaffend tätig.

Ein Schicksalsschlag veränderte das Leben der Familie. Adu-Sanyahs Vater musste sich 2015 operieren lassen. Eigentlich ein Routineeingriff, doch der Vater verlor dabei so viel Blut, dass sein Nervensystem geschädigt wurde und er das Augenlicht verlor. Bis zu seinem Tod kümmerte sich seine geschiedene Frau aufopferungsvoll um ihn und kämpfte um die Anerkennung des Behandlungsfehlers. Die Tochter schafft es, diese ganze Geschichte in zwei Bilder zu packen. Auf der einen Seite der Vater, den sie als selbstbewussten Mann ablichtet und die Mutter, die in der leichten Überbelichtung fast verschwindet. 

In der Installation in der Stadtgalerie gibt es auch ein Porträt des Ur-Großvaters in Wehrmachtsuniform. Was wohl hätte er von Enkelin gehalten, fragt die Künstlerin. Schräg versetzt hinter dem Ur-Großvater ein Bild der ghanaischen Großmutter. Schon durch diese beiden Bilder entsteht eine Spannung im Raum, welche die Zerrissenheit einer Frau anschaulich darstellt, die zwischen diesen beiden Polen lebt. Ist Adu-Sanyah weiß oder schwarz? Europäerin oder Afrikanerin? Von allem ein bisschen oder nichts von alledem? Was macht uns eigentlich aus? Die Herkunft der Eltern? Die Sozialisation? Antworten liefert die Künstlerin nicht, nur ihr eigenes Ringen um Antworten wird erfahrbar.

Immer wieder stellt Adu-Sanyah sich und uns Fragen nach Identität und Zugehörigkeit und hinterfragt familiäre und kulturelle Herkunft, erzählt von Rassismus und Ablehnung. Leise, fast poetisch spricht sie in Bildern. Etwa „white glaze II/black square“, ein mit weißem Licht beleuchtetes Barytfotopapier. Das Tiefschwarz knüllte die Fotografin gewaltsam und glättete das Papier wieder etwas. Das Licht der Ausstellungsbeleuchtung wird auf der reliefartigen Oberfläche stellenweise weiß reflektiert. Schwarz und Weiß werden beliebig und sind inhärenter Teil der Bildoberfläche. Grandios auch „stone“, ein Stück Bouretteseide, das in lichtempfindliche Chlorbromidemulsion getaucht und anschließend mehrfach mit Makroaufnahmen der Haut der Künstlerin belichtet wurde. Adu-Sanyah erzählt: „stone war eigentlich als flächige Fotografie geplant, gefiel mir dann aber nicht. Als ich sie zusammenknüllte, fiel mir auf, dass sich die Aussage verstärkte.“ Den geknüllten Stoff „fesselte“ sie noch mit einem dünnen weißen Faden. Eine Existenz, die sich von den Fesseln des Daseins eingezwängt fühlt, so kann man das lesen.

Adu-Sanyah hat noch viel vor. Ihre Arbeit ist geprägt von der Verbindung von intensiver Recherche, journalistischen Ansätzen und künstlerischer Umsetzung. Etwa wenn sie das Leben ihres Vaters in den letzten Monaten vor dessen Tod bildgewaltig dokumentiert. In der Serie „Behold the Ocean“ hält sie in intensiven Fotografien die Arbeit von zwei chilenischen Ozeanografen fest, stellt aber nicht den Klimawandel in den Vordergrund, sondern die Frage nach dem Konzept von Wissenschaft und der „Produktion“ von Wissen. Das Werk der Künstlerin ist eine lebendige und spannende Aufarbeitung zahlreicher Aspekte unseres Lebens.

Foto (rechts): Akosua Viktoria Adu-Sanyah

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