Wider die Schönfärberei, Buchumschlag
Wider die Schönfärberei, Buchumschlag
24. Januar 2022

Radikal und kompromisslos

Das Buch „Wider die Schönfärberei“ erinnert an den 2017 verstorbenen Saarbrücker Künstler Kurt Emser.

Wenn man sich Kurt Emsers Werke anschaut, ohne den Künstler persönlich gekannt zu haben, würde man wohl vermuten, ein extrovertierter Maler sei da am Werk gewesen. Poppig-bunt und schrill kamen seine Werke daher. Doch Emser war ein zurückhaltender und bescheidener Mensch. Nur in der Kunst war er laut, mahnte als kritischer Geist Missstände einer sozialen Marktwirtschaft an, die oftmals unbarmherziger ist, als es der Name suggeriert.

Emser wurde 1956 in Jägersburg geboren. Erst Ende der 1990er Jahre entschloss sich der studierte Sozialarbeiter, seine bürgerliche Karriere an den Nagel zu hängen und sich ganz auf die künstlerische Arbeit zu konzentrieren. Eine künstlerische Ausbildung fehlte ihm, in den Jahren 2001 und 2002 besuchte der Autodidakt aber Aktzeichenkurse bei Bodo Baumgarten an der Hochschule der Bildenden Künste in Saarbrücken und perfektionierte seine handwerklichen Fähigkeiten.

Ausgestellt hatte er bis zu seinem Tod noch nicht oft. Im Jahr 1996 hatte Emser erstmals Arbeiten öffentlich gezeigt und war in den folgenden Jahren vor allem in Galerien im Saarland zu sehen. Seine letzte Einzelausstellung fand 2014 in der Galerie „Sali e Tabacchi“ statt, ein Jahr später wurde eine Arbeit in der Gruppenausstellung „Heldenmythen – Heldentaten – Heldentod“ im Saarländischen Künstlerhaus präsentiert. Obwohl Emsers Tod nun schon vier Jahre zurückliegt, blieben Gedächtnisausstellungen aus. Auch das war wohl ein Grund, warum sich die Künstlerkollegen und Freunde Albert Herbig und Klaus Harth mit Emsers Ehefrau Antje Hecker entschlossen, ein Buch zu publizieren, das die Erinnerung an den Menschen und Künstler Kurt Emser wachhalten und sich „gegen das Vergessen seines künstlerischen Vermächtnisses stemmen“ soll, wie sie es im Vorwort formulieren. 

Erst zwei Jahre nach der ersten Ausstellung im Verwaltungsgebäude der Neuen Arbeit Saar trat Emser erneut in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Für einen Wettbewerb hatte er ein Plakat zum Nauwieser Viertel gestaltet, in dem er eine künstlerische Landkarte des Viertels entwarf. Vor einen blau-schwarzen Hintergrund zeichnete er eine Straßenkarte, in die er vor Ort gefundene Graffitisprüche setzte. Das Plakat gewann und Emser begann wohl auch durch diesen Zuspruch intensiv zu malen. In der Heinrich-Böcking-Straße richtete er sich ein Atelier ein und konzentrierte sich fortan auf die Kunst.

Das nun vorliegende Buch beginnt etwas später und ist mehr Werküberblick als Werkverzeichnis. „Landschaft bei Jucas (Provence)“ entstand im Jahr 2001 und zeigt eine stark abstrahierte Landschaft in warmen Farbtönen. Schwarze Linien umreißen die Form, sind aber mehr Begrenzung der Farbflächen als wirklich formbildend. In dieser Zeit entdeckt Emser Pappkarton als bevorzugtes Material. Sein Interesse weckte die Transformation von Vorgefundenem. Fettflecke, Malrückstände, Risse oder Schriftzeichen auf der Pappe integriert er in den Bildraum. Dabei zeigt er eine große Bandbreite. Abstraktion und Figuration gehen Hand in Hand, oft kaum entzifferbar nutzt er geometrische Formen zur Bildgestaltung. Meist helfen nur die Titel weiter, um Gemaltes zu identifizieren. Sicher kann man sich aber nicht sein, ob Emser etwa in „Katze und Fledermaus“ tatsächlich die putzigen Tierchen verewigt hat oder uns mit dem Titel in die Irre führt, weil seine Assoziationen titelgebend waren.

Ein erster Höhepunkt im Werk wurde die Reihe „éclore“. Die Serie entstand in Zusammenarbeit mit Obdachlosen und greift deren Lebenswirklichkeit auf ungewöhnliche Weise auf. Emser bat die Obdachlosen, Körperabdrücke auf der Pappe zu hinterlassen. Die Spuren verarbeitete er dann, indem er sie wie ephemere Erscheinungen mit seiner Malerei festzuhalten versucht. Eindrücklich schildert er so die bittere Realität von Menschen ohne festen Wohnsitz. Die Not der Obdachlosen spricht nur durch die Spuren der Menschen. Das geht unter die Haut und vermittelt das Elend der Obdachlosigkeit direkter als es jedes Foto könnte. In den Werken von Emser begegnen wir der Not unmittelbar, wenn wir den Arbeiten im musealen Raum gegenüberstehen. Ein Wegsehen ist hier nicht möglich. Es sind vielleicht die stärksten Arbeiten von Emser.

Dem Material Pappe blieb der Saarbrücker in der Folgezeit treu und entdeckte Schuhkartons als Malgrund. Deren Deckel werden zum Bildträger, vorgefundene Schriften und Grafiken vereinnahmt er einfach. Auffällig ist Emsers Loslösung von der Abstrahierung des Bildgegenstandes und seine Hinwendung zu einer gegenständlichen Malerei. Es sind vor allem Köpfe und Körper, die er in greller Farbgebung ausführt, oftmals bearbeitet er dabei den Malgrund oder trägt die Farbe krustig auf. Einige Zeit löste er sich dann wieder vom Gegenstand, abstrahierte stärker und setzte vor allem auf die Wirkung von Farbe und Material.

Im Jahr 2007 scheint ein Wandel einzutreten. Emser malte wieder auf Leinwand. Eine großformatige Gasthausszene fragmentierte er aber in Schuhkartongröße. Auslöser soll der Roman „Die See“ gewesen sein, in dem der irische Schriftsteller John Banville die Reise eines alternden Kunsthistorikers an die Küste beschreibt und dessen Auseinandersetzung mit Leben, Liebe und Sterben wortgewaltig nachzeichnet und die Lebenserinnerungen des Protagonisten mit Kunst verwebt. Emser kreierte ein kaum mehr zu enträtselndes Puzzle aus Bildfragmenten. Das ursprüngliche Gemälde war ein bildgewaltiges Werk, in dem Form und Farbe fast schon autark nebeneinanderstehen. Die Figuren sind als schwarze Umrisse erkennbar, den Hintergrund bilden Farbnebel aus leuchtendem Rot, dunklem Blau und Erdtönen, gebrochen von Gelb. Nun ist es wie eine Erinnerung an vergangene Zeiten nur noch schemenhaft erkennbar.

An dieser Stelle ist man glücklich, dass das Buch kein Werkverzeichnis ist, denn es behauptet eine gewisse Stringenz im Arbeiten von Emser, weil es Lücken lässt. So erscheint die Entwicklung des zusammenhängenden, siebenteiligen Gemäldezyklus „Corpus delicti“ fast wie eine logische Konsequenz auf „Die See“. Emser zerschnitt sein Bild nicht mehr, er setzt es gleich aus Fragmenten zusammen. Gestalterisch und kompositorisch nimmt er Einflüsse aus Graffiti und Urban Art, Comic und Massenmedien auf, die Farbgebung wurde zunehmend kräftig.

Seine inzwischen auf Leinwand gemalten Arbeiten wirken wie Häuserwände im urbanen Raum. Auf den Farbwolken des diffusen Hintergrundes werden Figuren sichtbar, Dinge und Schriften. Das alles wirkt wie ein ungefiltertes Erleben der Stadt. In den folgenden Jahren verdichtete Emser diese Bilder noch. Sein Spätwerk erinnert an Jean-Michel Basquiat, doch blieb Emser stärker als in der Malerei verhaftet und wurde nie zum Urban-Art-Maler.

Das Kapitel seiner letzten Schaffensperiode von 2014 bis 2017 ist mit „Von Wiesenfeen & Dieben“ überschrieben und erinnert an den Titel der letzten Einzelausstellung. In den Jahren vor seinem Tod malte Emser vor allem auf Papier und Leinwand mit einer Vielzahl an Materialien: Acrylfarbe, Kohle, Lackspray kamen zum Einsatz, aber auch Folien. Den mit „Corpus delicti“ eingeschlagenen stilistischen Weg behält er bei. Seine großformatigen Bilder sind vor allem Gesellschaftskritik und stellen die Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft an den Pranger. Die Auseinandersetzung mit den Auswüchsen der Konsumgesellschaft ist stärker verrätselt als zuvor und lässt Spielraum für Eigeninterpretationen, bleibt aber erkennbar. Emsers Bilder sind radikal und kompromisslos im besten Sinne und von der Überzeugung geprägt, mit Kunst etwas verändern zu können. Er selbst hat einmal gesagt: „Durch das Spiel mit Farben und Formen möchte ich soziale Missstände aufzeigen und der Schönfärberei entgegentreten.“ Die kann man ihm wahrlich nicht vorwerfen.

Das Buch war dringend nötig, auch wenn es ein paar qualitative Mängel hat. Vor allem die Druckqualität der Fotos lässt zu wünschen übrig. Wie so oft dürfte Geldmangel der Auslöser sein und der fehlende Mut eines Verlages, sich eines solchen Werkes anzunehmen. Der Bildband erschien per Book on Demand ohne Verlag. Mit Künstlerbüchern ist BoD überfordert und kann nicht die nötige Qualität liefern, um ein solches Buch hochwertig zu gestalten. Ein bisschen mehr kunsthistorische Einordnung wäre auch schön gewesen, nun sind es vor allem Textfragmente aus Ausstellungskatalogen und Presseberichten, welche die Kapitel begleiten. Nichtsdestotrotz kann man den Herausgebern nur zustimmen: Das Buch war dringend nötig und wird seinen Beitrag leisten, die Erinnerung an Emsers Werk lebendig zu halten.

Klaus Harth, Antje Hecker, Albert Herbig (Hrsg): Kurt Emser – Wider die Schönfärberei, BoD, 2021

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