Mit „The True Size of Africa” versucht sich das Weltkulturerbe Völklinger Hütte in einer ganz besonderen Ausstellung und in seiner größten bisher, wie Generaldirektor Ralf Beil betont. „The true size“, die reale Größe Afrikas, ist durchaus wörtlich zunehmen. Auf den uns gegenwärtigen globalen Mercator-Karten ist Afrika oft verkleinert dargestellt. Eine Karte am Eingang der Gebläsehalle rückt dieses Bild zurecht. Man hat versucht, die Umrisse Afrikas grafisch mit anderen Ländern aufzufüllen. So passt dann schon mal West- und Osteuropa hinein, aber auch China, die Vereinigten Staaten und Indien.
Aber die Ausstellung möchte mehr. Anhand von Kulturgeschichte und Kunst erprobt sie Annäherungen, möchte „Denktraditionen, Vorurteile und Stereotypen aufspüren und neue Sichtweisen ermöglichen. Die wahrer Größe Afrikas zu erkennen, bedeutet auch, die kulturelle Bedeutung des Kontinents zu erfassen.
Mit einem Vorurteil räumt Kurator Beil schon zu Beginn des Parcours auf. Afrika habe keine große Geschichte vor der Kolonialisierung gehabt, wurde lange immer wieder behauptet. Doch die Ausstellung ruft in Erinnerung, das dem nicht so ist. Die Schau beginnt mit prähistorischen Fundstücken als Beweis für die frühe Besiedlung, dann ruft Kurator Ralf Beil die Hochkultur des Alten Ägypten in Erinnerung und das Reich des legendären malischen Königs Mansa Musa, genauso wie das äthiopische Königreich.
Unsere lange vorherrschende Idee von Afrika stammt aus der Zeit des beginnenden Kolonialismus, das von dem Bild eines gefährlichen und rohen Kontinents geprägt ist, dessen Bewohner allesamt Wilde sind. Dass das Aufkommen dieses Zerrbildes mit dem europäischen Zeitalter der Aufklärung zusammenfällt, ist nur eine Randbemerkung. In diesen Teil der Geschichte taucht die Ausstellung dann auch tiefer ein und erzählt im „Museum of Memorability“ beispielhaft von der Ausbeutung des Kontinents. Immer wieder versucht Beil den Brückenschlag zur Regionalgeschichte, etwa wenn die Heldenverehrung von Kolonialoffizieren angesprochen wird.
Es finden sich erstaunliche viele Spuren des Kolonialismus im Saarland und nicht nur in Straßennamen, die an die wenig heldenhaften Offiziere der deutschen Kolonialtruppen erinnern. Ausgestellt ist eine Reklamemarke, welche an die erste „Kolonialwarenausstellung“ in Saarbrücken im Mai 1913 erinnert oder ein Foto des Grabsteins des „lieben Negers“ Chim Bebe vom Friedhof in Saarlouis, der offensichtlich von seinem Arbeitgeber gestiftet wurde. Ein Foto erinnert an die kleine Moschee auf dem großen Exerzierplatz in Saarbrücken, die marokkanische Soldaten der französischen Besatzungstruppen nach dem Ersten Weltkrieg nutzen.
Die wirkliche kulturelle und geschichtliche Größe Afrikas lässt sich kaum in einer Ausstellung zeigen, dafür ist dieser Kontinent einfach zu groß, zu reich und zu vielfältig. So beschränkt sich die Schau in weiten Teilen darauf, die Themen zu streifen und die versprochenen Denkanstöße zu liefern und tut gut daran.Natürlich muss eine solche Ausstellung aber auf die reiche Kunst des Kontinents eingehen. Exemplarisch zeigt die Völklinger Hütte Skulpturen aus dem 19. und 20. Jahrhundert aus Westafrika, die einfach unglaublich ausdrucksstark sind und uns entführen in eine andere Welt. Sie bilden den Auftakt zum Kapitel der zeitgenössischen Kunst.
Los geht es mit den künstlerischen Werken schon kurz nach dem neuen Eingang im Wasserhochbehälter. Von hiergelangt man auf einen Steg in das ehemalige Pumpenhaus. Vertraute Töne. Das Steigerlied ertönt – zumindest dessen Melodie mit einem afrikanischen Text. Die Klanginstallation stammt von dem nigerianischen Künstler Emeka Ogboh, der einen Text in der Bantusprache Oshiwambo geschrieben hat. Es kündet nicht mehr vom Stolz der Bergleute auf ihre Arbeit, sondern beweint die Zustände in afrikanischen Minen, von Landnahme und Ausbeutung der Minenarbeiter.
Roméo Mivekannin setzt mit „The Souls of Black Folk” den großen schwarzen Intellektuellen, Politkern und Künstlern ein Denkmal und verewigt ihre Gesichtszüge auf Stoffbahnen. Daneben die wunderbare Arbeit von Susana Pilar. „Delahante Matienzo“ zeigt vergilbte Fotografien auf und in antiken Schreibtischen. Die Fotos sind jedoch keine verblassenden Erinnerungen, sondern Abzüge von KI-generierten Fotos. Die kubanische Künstlerin hat afrikanische und chinesische Wurzeln, ihre Vorfahren wurden nach Kuba verschleppt. Die Fotos zeigen stolze und selbstbewusste schwarze Frauen. Pilar möchte einer Vergangenheit nachgehen, die ihrer und vielen weiteren Familien gestohlen wurde und schafft mit den Fotos eine spekulative Vergangenheit.
Der senegalesische Fotograf Omar Victor Diop ist gleich mit mehreren Werken vertreten. Sie stammen aus drei Werkserien. Die Serie Diaspora bezieht sich auf historische Porträts, die schwarze Persönlichkeiten zeigen, die in ihren Leben in der Diaspora einen hohen sozialen Status erreicht hatten. Von der konventionellen Geschichtsschreibung aus rassistischen Gründen übersehen, erinnert Diop an diese Akteure. Liberty erzählt von Figuren und Momenten des Schwarzen Freiheitskampfes. In Allegoria hingegen wendet Diop den Blick in die Zukunft, indem er sich der Klimakrise und deren Folgen widmet.
Ungewöhnlich ist das Arbeitswerkzeug von Géraldine Tobe aus der demokratischen Republik Kongo. Sie zeichnet mit Rauch auf Leinwand. Dabei verbindet sie persönliche Gefühle und Gedanken mit gesellschaftlichen Themen wie der Unterdrückung der Frau, dem Umgang mit Tod oder auch der politischen Situation im Kongo.
Spannend sind auch die Arbeiten des Kenianers Kaloki Nyamai, der 2022 sein land bei der Biennale in Venedig vertrat. In der Ausstellung zeigt der Künstler Werke aus drei Schaffensphasen. Mit seinen großformatigen Gemälden und Installationen erzählt er komplexe Bildgeschichten, die eine zeitgenössische Interpretation historischer Narrative bieten. Ungewöhnlich ist seien Materialkombination. er mal mit Acrylfarben, nutzt aber auch Stickereien und Collagen und kreiert so ungewöhnliche Oberflächen.
Und wie schon im kulturhistorischen Teil schaffen auch die Künstler Verbindungen zur Region. Die namibische Künstlerin Memory Biwa beschäftigt sich mit dem Eisenerzabbau in Namibia und Südafrika für die Völklinger Hütte ab den 1960er Jahren. Der rostrote Staub der Völklinger Hütte existiert auch in den Bergbaustädten Südafrikas. Biwa verschränkt die beiden Orte und erzählt mit ihren roten Sandkuchen und der suggestiven Klanglandschaft der Installation von der gemeinsamen Geschichte der Orte.
Beil ist eine hinreißende Mischung aus kulturgeschichtlicher und Kunstausstellung gelungen, welche die Probleme des Kontinents aufschlüsselt, aber auch seinen ganzen Reichtum ausbreitet: seine Menschen, ihre Kultur und Kreativität und die vielfältigen Landschaften.
bis 17. August 2025, www.voelklinger-huette.org