Es ist ein wahrer Schatz, den Christiane Mewes-Holweck dem Forschungszentrum für Künstlernachlässe Ende des vergangenen Jahres als Leihgabe überlassen hat. Die Witwe von Künstler Oskar Holweck hat dem Institut für aktuelle Kunst im Saarland in Saarlouis das in großen Teilen erhaltene Konvolut von Exponaten aus Holwecks Ausstellung „sehen“ übergeben, aber auch zahlreiche Ordner mit Dokumenten, Presseberichten und unzähligen Fotos.
Die Sammlung lässt sich noch kaum überblicken, mehrere Schränke voller Grafiken, aber auch plastische Objekte, gehören dazu und warten darauf, in den nächsten Jahren wissenschaftlich erfasst und ausgewertet zu werden. In einer ersten Ausstellung präsentiert das Institut nun einen kleinen Überblick über die Arbeiten. Institutsleiter Andreas Bayer dämpft aber die Erwartungen: „Es handelt sich noch nicht um eine Präsentation von Forschungsergebnissen, sondern um einen kleinen Einblick in die Leihgaben und Holwecks Didaktik anlässlich seines 100. Geburtstages.“
Man darf in Saarlouis keine Rekonstruktion der „sehen“-Ausstellung erwarten, denn die war mit rund 1000 Exponaten bestückt und der Pavillon für Wechselausstellungen in der Modernen Galerie 1970 fast schon überfüllt. Die Ausstellung in der Modernen Galerie war der Endpunkt einer langen Reise der Ausstellung von Köln über Zürich bis in das Vereinigte Königreich in den Jahren 1966 bis 1970.
Mit „sehen“ wollte Oskar Holweck seine didaktischen Ideen präsentieren. „Grundlehre“ nannte sich sein zweisemestriger Kurs an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk (heute HBKsaar), den er von den 1950er Jahren bis in die 1990er-Jahre hielt. Damit wollte er die Studierenden zum Sehen anleiten, zum Schauen, Erkennen und Analysieren, und ihnen vermitteln, wie sie das Erfasste künstlerisch umsetzen. Holweck war ein leidenschaftlicher Lehrer, während der Vorlesungszeit widmete er sich ganz der Lehre, zur eigenen Kunst kam er nur in den Semesterferien.
Nicht wenige Eleven beschreiben die Ausbildung als harten Drill und loben doch zugleich ihren Lehrer und seine Ideen. Es war seine unnachgiebige Präzision, die Holweck von den Studierenden einforderte und er duldete keinen Spielraum. Mark Buchmann, Künstler und Kunsthistoriker schrieb im Katalog zur Ausstellung in Zürich von „eiserner Zucht“, meinte damit aber weniger persönliche als methodische Strenge.
In acht Kapiteln vermittelte die Schau wesentliche Elemente der Grundlehre. Die Ausstellung im Institut für aktuelle Kunst folgt dieser Unterteilung weitgehend. Im ersten Kapitel geht es um „schematische Experimente“. Die Studierenden arbeiteten nach strengen Vorgaben mit Zahlenfolgen, die endlose Permutationen auf Grundlage einfacher Logik erlaubten. In den Kapiteln „Helligkeit“ und „Körper und Raum“ lernten die Studierenden, Dinge der realen Welt als plastische Objekte zu erfassen und über Grauabstufungen auf das Papier zu bringen.
„Material und Struktur“ vermittelte die Grundideen von Materialien und dem Umgang damit. Hier lernten die Studierenden, welche Eigenschaften und Grenzen ein Material hat. Unter der Überschrift „Farbe“ subsummierte Holweck Experimente mit der Wirkung von Farben. „Bewegung und Rhythmus“ sollte vermitteln, was man mit dem Körper und dessen Bewegungen schaffen kann. Die Studierenden brachten in minimalen Variationen von immergleichen Körperbewegungen Bleistiftstriche auf das Papier, ließen den Pinsel in einem kurzen gestischen Akt über das Blatt flitzen oder entwickelten aus Punkten endlose Variationen von Oberflächen, die in das letzte Kapitel „Form“ überleiten. In vielem erkennt man hier Grundideen des Bauhauses wieder, die Holweck über Boris Kleint kennengelernt und dann weiterentwickelt hatte.
Das größte Verdienst der Ausstellung in Saarlouis ist es, die Arbeiten der sehen-Ausstellung nach über 50 Jahren wieder an das Licht der Öffentlichkeit gebracht zu haben. Die Schau zeigt keine große Kunst, sondern die handwerklichen Übungen der Studierenden, wie Bayer betont. Tatsächlich ist die Ausstellung weniger künstlerisch wertvoll als ein Fundus der Kunst- und Wahrnehmungstheorie.
Dass die Exponate von „sehen“ fast komplett erhalten sind, ist ein großes Geschenk, welches das Institut wohl noch ein paar Jahre beschäftigen wird. Ein kostbares Gut sind die zahlreichen Fotos, die nicht nur den Aufbau und die Reise der Ausstellung dokumentieren, sondern auch die außergewöhnliche Ausstellungsarchitektur, die Holweck mit den Studierenden erdacht hatte. Sie werden eine Rekonstruktion des Ausstellungsraumes möglich machen, wenn auch vielleicht nur virtuell.
„Oskar Holweck. sehen. Grundlehre an der staatlichen werkkunstschule Saarbrücken“,
bis 26. Januar 2025, Institut für akutelle Kunst, Saarlouis
Öffnungszeiten
Di–Fr, 10–17 Uhr
So 14–18 Uhr