Es ist eine ungewöhnliche Geschichte. Seit fast 50 Jahren arbeitet Werner Schorr künstlerisch, doch die aktuelle Ausstellung in der Städtischen Galerie Neunkirchen ist seine erste Einzelausstellung und seit 40 Jahren die erste Ausstellung überhaupt. Dabei kennen gerade viele Neunkircher seine Arbeiten, auch wenn sie wahrscheinlich nicht wissen, dass diese von Schorr stammen. Seine bekannteste Arbeit ist der Sense-Eduard, ein Denkmal für das von den Nationalsozialisten ermordete Neunkircher Original Eduard Senz. Sieben weitere Auftragsarbeiten hat Schorr für den öffentlichen Raum geschaffen, doch seine Malerei hat er nie wirklich gezeigt.
Der Sportwissenschaftler Schorr arbeitete als Dozent an der Sporthochschule und trainierte in den vergangenen Jahren außerdem seine beiden Töchter, die zu den deutschen Spitzensportlerinnen in der Leichtathletik zählen. Da blieb wenig Zeit, Kunst zu schaffen und auch noch Ausstellungen zu organisieren. Mit nun 72 Jahren hat ihn Galerieleiterin Nicole Nix-Hauck nun aber doch dazu bewegen können, seien malerisches Werk zu präsentieren. Es ist ein fast schon retrospektiv angelegter Überblick über Schorrs Werk geworden.
Im hinteren Teil der Ausstellung ist an der Wand Schorrs Frühwerk zu sehen. Zwischen Figuration der Neuen Wilden und der gestischen Abstraktion schwebend, entwickelte der Künstler in den 1980er Jahren einen eigenen Stil. Ende des Jahrzehnts geriet er in eine existenzielle Krise: „Ich habe vieles in Frage gestellt. Wer bin ich? Was will ich? Wohin soll mein Weg führen?“, schildert Schorr. Das Gemälde „Ikarus“ ist ein frühes Zeugnis von 1990. Im Stil noch in den 1980er Jahren ausgeführt, scheint Schorr mit roher Gewalt Kerben in die Farbschichten geschlagen zu haben. Gleichzeitig entfernte er sich immer weiter vom Figurativen bis nur noch Symbole und Zeichen in den Bildern auftauchen. Vorne im Ausstellungsraum sind ebenfalls Zeugnisse dieser Zeit präsentiert: Schorr kokelt seine Arbeiten an, setzt gestische Zeichen in schnellem Duktus. Die Werke sind emotionaler Ausdruck der Suche nach sich selbst.
Hat die Auseinandersetzung mit sich selbst geholfen? Ja, meint Schorr: „Ich konnte über die Kunst Persönliches verarbeiten und mich dann weg vom eigenen Leben hin zu formellen Fragen der Kunst wenden.“ Schorr begann, die angesengten Papiere zu strukturieren und horizontal zu schichten. Es entstanden erste Strukturen aus Farbe.
Beim Verbrennen der alten Arbeiten bemerkte Schorr, dass die Asche farblich sehr unterschiedlich zurückbleibt. Von fast weißen Verbrennungsrückständen über Ockertöne bis hin zu Schwarz reicht das Spektrum. Der in Neunkirchen lebende Künstler entdeckte die Asche als Malmittel, das sogar reliefartige Strukturen ermöglicht. Mit Acrylat gemacht, konnte er die Asche verstreichen und konservieren. Schorr brachte auf die bemalte Leinwand Asche auf und ließ in geometrisch geformten Aussparungen den Untergrund durchscheinen. Später entstanden horizontale Linienstrukturen, in denen sich Asche und Farbe abwechseln oder indem der Künstler geometrische Grundformen in die Asche grub und diese dann mit Farbe „markierte“.
Diesen eingeschlagenen Weg ging Schorr bis heute konsequent weiter. Inzwischen wieder ganz bei der Farbe als Material, lässt sich der aktuelle Werkkomplex der letzten Jahre in zwei große Serien teilen. Die eine ist bestimmt von der Struktur der Farbe. Es sind übereinandergelegte Farbschichten, die mit dem Spachtel über die Leinwand gezogen werden. Es entstehen schrundige Farboberflächen, die Blicke auf die darunterliegenden Farben freigeben. Zum anderen arbeitet Schorr an einer Serie, die mittels Farbfeldern Raumeindrücke vortäuscht. Horizontale und gelegentlich auch vertikale Farbbalken und -verläufe vermitteln einen Raumeindruck, der sich allein aus der Farbe speist. Manchmal kombiniert Schorr diese Serien auch und setzt räumlichen und strukturellen Eindruck als Horizontalen übereinander.
Werner Schorrs Werk lebte dabei von Gegensätzlichkeiten: „Mich interessieren Gegensätze, die Spannung in den Bildern erzeugt,“ so Schorr. Fläche und Raum, Leichtigkeit und Schwere, Nähe und Ferne, Ruhe und Dynamik verbinden sich in Schorrs malerischen Illusionen zu einer fast schon greifbaren Plastizität.
Nicole Nix-Hauck hat eine ansehnliche Präsentation geschaffen, die nicht streng chronologisch gehängt ist. Immer wieder erhascht man Durchblicke auf unterschiedliche Werkreihen, auf Altes und Neues, auf Struktur und Raum. Die Leiterin der Städtischen Galerie hat es geschafft, eine Ausstellung zu präsentieren, welche die einzelnen Werkphasen spannend verknüpft und die Geschichte eines ungewöhnlichen Künstlerlebens erzählt.
Werner Schorr. Struktur und Raum. Malerei 1986–2023, Städtische Galerie Neunkirchen, verlängert bis 18. Februar 2024