Lange Jahre legte die Städtische Galerie Neunkirchen einen Schwerpunkt auf die Fotografie. In den letzten Jahren trat die Kunstgattung aber in den Hintergrund, Leiterin Nicole Nix-Hauck zeigte mehr Malerei, aber auch Zeichnung, Keramik und Papierarbeiten. Nun möchte die Museumsleiterin den einstigen Schwerpunkt wieder in den Fokus rücken. Mit den Arbeiten des deutschen Fotografen Andreas Gefeller gelingt ein furioser Start.
Nix-Hauck und Mitarbeiterin Beate Kolodziej stellen Gefeller mit Ausstellungssaal und Empore beide Ebenen des Hauses zur Verfügung. Ein kluger Schachzug, weil die Hängung so Querverweise erlaubt. Im Obergeschoss hängen vor allem frühe Arbeiten. Die Serie „Soma“ entstand als Abschlussarbeit des Düsseldorfers, der 2000 bei Bernhard Prinz an der Universität Essen sein Fotografie-Studium abschloss. Gefeller fotografierte nachts auf Gran Canaria und nutzte dabei den Hang der Spanier für eine grelle Ausleuchtung der Städte. Die langzeitbelichteten Objekte heben sich klar vom schwarzen Nichts des Hintergrundes ab und führen zu surrealen Ansichten des Massentourismus. Die Fotos wirken wie zusammengeschnittene Collagen der Wirklichkeit, entstanden aber ohne jede Manipulation. Trotzdem sind sie keine reine Dokumentation, sondern spiegeln die individuelle Sicht des Fotografen auf die Welt.
Gefeller arbeitet grundsätzlich in Serien. Einen ersten Höhepunkt erreichte er mit der Serie „Supervisions“ in den 2000er Jahren. Die meist großformatigen C-Prints sind meisterhafte Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Ideen der Fotografie. Der Künstler nutzt dabei konsequent die technischen Möglichkeiten des Mediums: ungewöhnlich lange oder kurze Belichtungszeiten, Perspektivkonstruktionen und Detailausschnitte sind seine Bildmittel. Er begann ein Spiel aus Dokumentation und Konstruktion: „Die Dinge und ihre Anordnung existieren genauso in der Wirklichkeit, doch die gezeigte Perspektive gibt es nicht“, erklärt der Künstler.
Jedes Bild der Serie besteht aus vielen Hundert Einzelaufnahmen gleich großer Flächensegmente, die er rasterartig gruppiert. Der Betrachter nimmt ein eigentlich unmögliches Gesamtbild simultan wahr, etwa das geometrische Raster der Fliesen eines Schwimmbeckenbodens, auf dem die Reflexe der Wasseroberfläche wild tanzen oder die grundrissartige Darstellung der Räume eines Plattenbaus.
Ein Meisterwerk der Serie ist „o.T. (Holocaustmahnmal)“. Gefeller fotografierte von oben den Fußboden des Mahnmals in Berlin. Auf den ersten Blick ein Gemälde aus streng geometrisch angeordneten Rechtecken, die zu leuchten scheinen. Bei genauerem Hinschauen erkennt man die Stelen, deren Seitenwände ineinander kippen und zu etwas verschmelzen, was an Sargdeckel erinnert. Gefeller erzählt, dass es zu seinem Ärger an diesem Tag geschneit hatte und so die Spuren der Menschen, die das Mahnmal besuchten, sichtbar wurden. Doch aus dem Zufall wird eine Verstärkung der Idee des Mahnmals. Spuren von Menschen, die eben noch da waren und nun nicht mehr sichtbar sind. Ein Bild, das erschauern lässt.
In den folgenden Jahren wendete sich der Fotograf verstärkt den Themen Mensch, Technik und Natur zu. Gleichzeitig leitete er eine Perspektivwechsel ein und fotografiert vertikal nach oben. In der „Japan Series“ lichtet er Strommasten ab und schiebt zwei Halbbilder so übereinander, dass die Masten verschwinden. Übrig bleibt ein wucherndes lineares Gewirr, das an organisch gewachsene Strukturen erinnert. Ähnlich fotografiert er auch Baumkronen und macht durch unmögliche Perspektiven Nichtsichtbares wahrnehmbar. In der Serie „The other Side of Light“ nutzt Gefeller Naturfotografie, um digitale Vorgänge ins Sichtbare zu transferieren. Wasserspiegelungen werden zu Informationswolken, Bäume zu neuronalen Netzen. Konstruktion und Dokumentation liegen auch hier nahe beieinander.
Ein erneuter Höhepunkt im Schaffen ist die Serie „Blank“, die zwischen 2010 und 2016 entstand. Schon mit der „Japan Series“ war Gefeller von C-Prints auf Fotopapier zu Inkjetdruck auf matten Baumwollpapieren gewechselt. Nun spielt er die ganzen Vorteile des Papieres aus. Fast malerisch wirken die stark überbelichteten Ansichten von Hochhausfassaden, Schiffscontainern und Kraftwerken. Durch die Überbelichtung wird die Bildinformation auf das Wesentliche reduziert. Umrisse und farbige Flächen lassen zwar die wesentlichen Bildgegenstände erkennen, führen aber zu einer starken Abstrahierung des Abgebildeten.
Mit der Ausstellung holt Nicole Nix-Hauck einen der bedeutendsten Fotografen Deutschlands nach Neunkirchen und ermöglicht mit der Hängung der wesentlichen Serien einen fast schon retrospektiven Überblick, der essentielle Bildthemen und die Entwicklung der Arbeit von Gefeller wunderbar nachvollziehen lässt. Man darf sich auf weitere fotografische Leckerbissen in Neunkirchen freuen.
„Andreas Gefeller. Fotoarbeiten“, Städtische Galerie Neunkirchen, bis 1. August 2021