Julia Gerhards, Video-Stil aus "Medasunja", 2021
Julia Gerhards, Video-Stil aus "Medasunja", 2021
18. Februar 2022

Der Körper als Projektionsfläche

Atelierstipendiatin Julia Gerhards zeigt im Künstlerhaus ihre Abschlussarbeit.

Ein Atelierstipendium des Saarländischen Künstlerhauses ist schon etwas Feines. Ein Jahr lang darf eine Künstlerin oder ein Künstler das Gastatelier des Hauses kostenfrei nutzen und das Ergebnis dann in einer Ausstellung präsentieren. In den vergangenen Monaten war Julia Gerhards zu Gast und ihre Arbeit ist nun bis 13. März im Studio Blau des Künstlerhauses zu sehen.

„Medasunja“ heißt ihre Videoperformance im Kellergeschoss in der Karlstraße 5. Sieben Mal blickt uns Gerhards dort an. Irgendwann beginnt einer der Köpfe zu sprechen, andere stimmen ein, mal dieser, dann jener, plötzlich Stille. Dann wieder setzt eine Stimme ein, das Stimmengewirr schwillt an, manchmal reden alle gleichzeitig, dann wieder nur ein oder zwei Köpfe. Wie selbstverständlich redet Gerhards, aber wir verstehen nichts.

Es sind spontan entwickelte Worte, welche die Künstlerin vor sich hinspricht. Die Idee stammt, so erfährt man aus dem Begleittext, aus der Bibel. Fachleute reden von „Glossolalie“, etwas poetischer klingt „Gebetssprache“ oder „Zungenrede“. Paulus empfiehlt im 1. Korinther, die Zungenrede zur Selbsterbauung. In biblischen Zeiten immer wieder angewendet, soll uns die Lautmalerei Gott näherbringen.

Bei Gerhards entsteht eine abstrakte Sprachzeichnung, die wie ein Klangteppich durch den Raum schwingt. Für sie ist das Sprachgebet allerdings weniger Suche nach Gott als ein Versuch der Selbstberuhigung: „Die Performance entstand aus dem Wunsch heraus, der eigenen Überforderung als Künstlerin etwas Beruhigendes entgegenzusetzen. An mich als Künstlerin werden ständig Anforderungen gestellt: ich soll gute Kunst produzieren, zugleich Ausstellungen vorbereiten, Social-Media-Managerin sein und PR-Frau in eigener Sache.“

Eindringlich schildert Gerhards ihr Seelenleben, ohne auch nur eine verständliche Silbe zu sprechen oder mimisch etwas zu preiszugeben. Anspannung und Entspannung verrät nur der lautmalerische Klangteppich, der im Raum schwebt. Bei der Frage, ob sie die Aufnahmen in einem Moment des Stresses aufgezeichnet habe, gesteht sie: „Für mich bedeutet es immer Stress, wenn eine Kamera auf mich gerichtet ist. Performance ist immer aufregend und herausfordernd, weil man sich verletzlich macht.“ Die Abgebrühtheit fehlt ihr also, was die Authentizität des Gesehenen aber unterstützt – trotz der durchchoreografierten Inszenierung, wie die 51-Jährige verrät. Die Künstlerin nennt diese Mischung aus Konzeption und sprachlichem Zufall einen „kontrollierten Kontrollverlust“, man würde es vielleicht besser als gesteuerten Zufall bezeichnen.

Zufrieden erzählt Gerhards von der Arbeit im vergangenen Jahr, in dem sie auch ihr Meisterstudium bei Katharina Hinsberg und Eric Lanz abschloss. Sie berichtet von der Zeit im Atelier, von der Größe des Raumes, der sehr viel Platz zum Ausprobieren ließ. Längst hat sich Gerhards zu einer eigenständigen Künstlerpersönlichkeit entwickelt, doch ihre Wurzeln sind klar erkennbar, wenn man durch den Ausstellungskatalog blättert. Mit Hinsberg teilt sie die Liebe zur Linie, bei Lanz hat sie die mediale Inszenierung gelernt. Der Katalog zeigt Arbeiten aus den vergangenen fünf Jahren, also aus einer Zeit, als Gerhards noch an der HBK studierte. Das Kunststudium hat Gerhards nach einem Studium der Publizistik, Kulturanthropologie und Pädagogik ungewöhnlich spät begonnen, bereut die Entscheidung aber nicht: Das Studium an der HBK war die schönste Zeit ihres Lebens: „Das war wie nach Hause kommen!“ Die Künstlerin kam als Zeichnerin an die HBK, als sie dann aber in Veranstaltungen auf die Möglichkeiten der Performances stieß, war sie sofort begeistert.

Heute möchte sie sich nicht mehr auf eine Kunstform festlegen. Schaut man sich die Arbeiten der letzten Jahre an, muss man allerding sagen, dass sie sich offensichtlich mit der Performance ein intensives Spielfeld geschaffen hat, dass ihr einfach liegt. Etwa in ihrer Diplomarbeit aus dem Jahr 2019: „Mukbang“ ist einer jener verrückten YouTube-Trends aus Asien. Vor laufender Kamera verschlingen die Protagonisten Unmengen an Kalorien. Gerhards nutzte ihren Körper als Leinwand für diese Videos und rezitierte dabei Gedichte: „Ich habe diese Videos gesehen und konnte nicht verstehen, wie man für ein paar Klicks seine Gesundheit ruinieren kann. Dem wollte ich etwas Schönes entgegensetzen.“ Schonungslos nutzt sie den eigenen Körper als Projektionsfläche, um unsere Lebensführung zwischen Konsum und Selbstoptimierung anzuprangern. Das tut sie aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern lässt uns gesellschaftliche Fehlentwicklungen selbst erkennen.

Julia Gerhards, Medasunja, Saarländisches Künstlerhaus, Saarbrücken, bis 13. März 2022

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