Jane Boddy hat einen der schönsten Arbeitsplätze des Saarlandes. Seit April 2024 ist sie als Nachfolgerin von Mona Stocker Leiterin der grafischen Sammlung des Saarlandmuseums. Viel Zeit zum Ankommen blieb nicht, musste sie doch die Holweck-Ausstellung vorbereiten und durfte gleich den Höhepunkt des Ausstellungsjahres in der Modernen Galerie einrichten.
Schon im Jahr 2019 war das Saarlandmuseum auf Holwecks Witwe Christiane Mewes-Holweck zugegangen, um eine retrospektive Ausstellung für den Künstler auszurichten. Schließlich war es die Witwe und Nachlassverwalterin selbst, welche die Idee einer Jubiläumsausstellung ins Spiel brachte. Sie schlug vor, die Schau zum 100. Geburtstag des Künstlers um den 19. November 2024 auszurichten.
Nun ist es also so weit. In fünf Kabinetten erzählt Boddy die Geschichte von Oskar Holwecks Arbeit und konzentriert sich auf seine zentrale Schaffensperiode von den 1950er- bis in die 1990er-Jahre. Für die Interimsleiterin des Museums, Kathrin Elvers-Svamberk ist die Ausstellung „eine Einladung zum Sehen“.
Holweck hatte in den 1940er- und 1950er-Jahren an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk bei Boris Klient studiert und sich an der Ecole des Arts Appliqués à l’Industrie und der Académie de la Grande Chaumière in Paris weitergebildet. Anschließend arbeite er als Assistent bei Kleint, der ihn nachhaltig beeinflusste.
Im Jahr 1956 wurde er Leiter der Grundlehre an seiner Alma Mater und sollte den Studierenden dort das Sehen und Erfassen, aber auch grundsätzliche Gestaltungsfragen, vermitteln. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Künstler schon der gegenstandslosen Konkreten Kunst verschrieben. Im Jahr 1957 wurde er Mitglied der „neuen gruppe saar“. Kurze Zeit später wurden die ZERO-Künstler auf ihn aufmerksam und luden ihn zu gemeinsamen Ausstellungen ein. Da war Holweck längst zu einer „zentralen Figur der saarländischen Kunstgeschichte der Nachkriegszeit“ geworden, wie Elvers-Svamberk die Bedeutung des Künstlers beschreibt.
Holweck hatte angefangen, mit dem Bleistift in Papiere zu ritzen. Die Ergebnisse müssen ihn fasziniert haben, denn er begann, mit Tusche auf industriellen Papieren zu experimentieren. In gleichförmigen Bewegungen schleuderte oder tropfte er Farbe auf das Papier. In seriellen Reihen und endloser Varianz tat er das wieder und wieder. Das Experiment wurde zur Konstante in seinem Schaffen und der stete Versuch, „die Möglichkeiten des Materials sichtbar zu machen“, wie Boddy ausführt.
Der aus St. Ingbert stammende Künstler versuchte, sich von jeglicher Subjektivität zu distanzieren und in konzentrierter Ordnung, Struktur und Logik vorzugehen. „Willkür“, so Boddy, „war für Holweck ein Schimpfwort.“ Er arbeitete mit dem Papier, bog es oder stellte es senkrecht auf, während er die Tusche mit der Pipette aufbrachte.
In den 1960er-Jahren ging der Saarländer dann noch einen Schritt weiter. Er verzichtete auf die Tusche und verlegte sich ganz auf das Papier als Arbeitsmaterial. Die glatte Oberfläche und die Strategie, sie als „verlogen“ zu entlarven, wurde zur wesentlichen Aufgabe. In dieser radikalen Art hatte dies noch kein Künstler vor ihm gemacht. Das Papier wurde mit Nagelbrettern gerissen, geknüllt oder mit Werkzeugen wie Säge oder Bohrer bearbeitet. Es entstanden knittrige Landschaften, serielle Aufschichtungen und ausfransende Risse, die wie Schriftzeichen erscheinen und doch nur Material sind, das in den Raum greift.
Ab 1971 nutze er 500 Seiten starke Blindbücher. Die klappte er auf und riss und schälte die Blätter zu skulpturalen Objekten, die ein bisschen so aussehen, als seien sie explodiert. Herausragend sind hier vor allem die menschengroßen Objekte, die Holweck durch geschicktes Reißen aus „einem Stück“ entstehen ließ und die so aussehen, als würde sich der Inhalt zwischen den Klappendeckeln auf den Boden ergießen.
Im vierten Kabinett zeigt das Museum späte Arbeiten. Es sind großformatige Reliefe, oft aus mehreren Bögen Papier zusammengeklebt und dann wieder auseinandergerissen. Durch die horizontale Klebung entstanden Reihungen auf dem Papier, die sich rhythmisch über das Papier zu bewegen scheinen.
Im zentralen Kabinett hat Kuratorin Boddy einige Preziosen versammelt, welche die Experimentierfreude Holwecks dokumentieren. Etwa wenn er das Stanniolpapier von Zigarettenverpackungen zu reliefhaften Objekten gruppiert und die Öffnungen aufriss.
Der Modernen Galerie ist eine wunderbare Ausstellung mit 70 Exponaten gelungen, welche Holwecks Werke vor dunkelgrauen Wänden optimal im Halbdunkel präsentiert. Spannend sind die historischen Kurzfilme des Saarländischen Rundfunks, die den schüchternen Künstler zu Wort kommen lassen und einen Einblick in seinen Unterricht gewähren.
„Oskar Holweck – Form und Textur“, bis 5. Januar 2025, Moderne Galerie, Saarbrücken