Thomas Wrede, Rhonegletscher IV, 2020, C-Print, 207 x 177 cm, Foto: Thomas Wrede/VG Bild-Kunst Bonn 2022, Courtesy Beck und Eggeling
Thomas Wrede, Rhonegletscher IV, 2020, C-Print, 207 x 177 cm, Foto: Thomas Wrede/VG Bild-Kunst Bonn 2022, Courtesy Beck und Eggeling
22. April 2022

Gletscher in Leichentüchern

Die Städtische Galerie Neunkirchen zeigt atemberaubende Fotografien von Thomas Wrede.

Kann man den Klimawandel in einem Bild erfassen? Der Münsteraner Fotograf Thomas Wrede hat das geschafft. Sein riesiges Triptychon „Rhonegletscher II“ ist verstörend und atemberaubend schön zugleich. Wredes Fotografie ist ein Blick von der Gletscherzunge am unteren Rand hinauf auf den Gletscher. Ein Teil des Eises im unteren Teil ist zum Schutz vor der Sonne mit Planen verhüllt. 

Das Foto ist Teil von Wredes „Gletscherprojekt“ mit dem der Fotograf seit einigen Jahren den Zustand von Gletschern dokumentiert und das nun in der Städtischen Galerie zu sehen ist. Doch Wrede ist kein dokumentarischer, sondern ein künstlerischer Fotograf. Seine Bilder sind keine objektive Bestandsaufnahme und Dokumentation des Gletscherzustandes, sondern exemplarische Sichtbarmachung unseres Umganges mit der Natur. Zugleich sind die Fotos aber auch Mahnmal des Klimawandels. Wie Leichentücher decken die Schutzfolien die Gletscher ein. Dabei werden die Planen selbst zur Kunst, die Gletscher erscheinen wie von Christo verhüllt.

Den Bildern wohnt eine eigene Ästhetik inne, sie werden bestimmt von der Rhythmik der Folienstücke und -bahnen, der vom Wind geformte Eisoberfläche, vom Licht und den Farben. Es ist die erschreckende Schönheit des Verfalls, wie es die Leiterin der Städtischen Galerie Nicole Nix-Hauck formuliert.

Aber nicht nur den Rhonegletscher fotografierte der 1963 geborene Wrede. Als er im Sommer 2020 erfuhr, dass es am Presena-Gletscher zum Blutschnee-Phänomen kommen sollte, fuhr er dorthin. Blutschnee entsteht, wenn Algen sich auf dem Schnee breitmachen und die Schneefelder in ein tiefes Rosa und Rot tauchen. Der Fotograf hält das Spiel aus Rot und Weiß fest und macht es durch die Wahl des Ausschnitts zum abstrakten Farbmuster.

Wunderbar auch die Blicke in das Inneres des Rhonegletschers. In einer Eisgrotte entstanden Bilder, die blau-türkis zu strahlen scheinen, Detailblicke auf das Eis geben Risse und Lufteinschlüsse wieder. Die Sonne schimmert aufgrund der schmutzigen Abdeckfolien rotbraun durch das Eis an der Decke der Höhle. Es ist ein abstraktes Spiel aus Farbe und Form, das Wrede da festhält und detailreich umsetzt. Ohnehin ist der Pigmentdruck perfekt, fängt das kühle Blau, Weiß und Grün so stark ein, dass man beim Anblick fröstelt. 

Wrede, Professor für Fotografie und Medienkunst an der Hochschule der Bildenden Künste Essen, arbeitet in Serien. Neben dem Gletscherprojekt sind auch Arbeiten aus der Serie „Samsø“ aus den 1990er Jahren ausgestellt. Am Eingang im Ausstellungsaal empfängt die Besucher ein Großformat in düsterem Schwarzweiß. Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Graslandschaft, aus der Steine und Felsbrocken ragen. Erst beim genaueren Hinsehen schimmert und glänze das Gestein.

Tatsächlich handelt es sich um Polyethylenfolie, welche im Frühjahr die halbe Insel bedeckt. Die Folie sollte die angebauten Kartoffeln vor Frost schützen. Übrig blieben Berge von Plastik, die man nicht wiederverwerten kann. Vieles wurde verbrennt, aber einiges verrottet im Boden. Das dreiteilige Triptychon aus der Serie zeigt einen solchen Plastikberg inmitten einer Graslandschaft. Die schiere Höhe des Plastikhügels wird durch die Dimension des Bildes erst erfahrbar. Inzwischen ist die Insel weltweiter Vorreiter im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit.

Wrede überlässt nichts dem Zufall. Manche Bilder stecken in schwarzen Rahmen, andere in weißen, manche sind rahmenlos gehängt. Dabei sind die Rahmen nicht einfach schwarz oder weiß, sie werden extra für das Bild angefertigt. Die schwarzen Rahmen haben einen Braunanteil, um das Schwarz der Fotografien exakt zu treffen, weiße Rahmen sind auf die Farbe des Papieres ausgerichtet. So hat jedes Bild einen eigens angefertigten Rahmen, der die Farbwirkung unterstreicht. In dieser Perfektion sieht man das selten und es fällt tatsächlich sofort auf. 

Neben den Naturaufnahmen hat Wrede auch einige Serien entwickelt, die mit unserer Wahrnehmung spielen. Auf der Empore der Städtischen Galerie zeigt Wrede seine bekannte Serie „Real Landscapes.“ Was in den Fotos echt und was inszeniert ist, muss der Betrachter bei genauem Studium des Bildes selbst entschlüsseln. Die Landschaft ist immer echt, allerdings manchmal nur eine Detailaufnahme von Felsen oder Böden. In diese pittoresken Ansichten arrangierte Wrede dann Miniaturhäuschen, Autos oder Schilder. Der Fotograf schickt uns damit auf eine verwirrende Reise. Das macht richtig Spaß, weil man schauen kann und rätseln. Sehgewohnheiten werden so spielerisch hinterfragt.

„Weiss war der Schnee. Das Gletscherprojekt von Thomas Wrede“, Städtische Galerie Neunkirchen, bis 17. Juli 2022  

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