Ralf Beil hat in den ersten Jahren seiner Zeit in der Völklinger Hütte einiges umgekrempelt. Nicht nur baulich hat er vieles verändert und weiterentwickelt, auch die Ausstellungspolitik hat sich drastisch gewandelt. Einen Programmpunkt im Ausstellungskalender hat der Generaldirektor jedoch unverändert übernommen: die Urban Art Biennale. Kein Wunder, lockt die alle zwei Jahre stattfindende Schau zur Urban Art doch immer wieder ein junges Publikum aus ganz Europa an und garantiert überregionale Aufmerksamkeit in den Medien. Aber auch hier gingen Beil und Kurator Frank Krämer in den letzten Jahren neue Wege. Die Urban Art Biennale wuchs über die Möllerhalle und den Paradiesgarten hinaus in die Stadt. Große Namen sind nicht mehr so wichtig wie aktuelle Trends, welche die Biennale aufzuzeigen versucht.
In diesem Jahr setzt Krämer einen Schwerpunkt auf Partizipation, das gelingt allerdings nur ansatzweise, was aber bei einer Kunst, die aus der Illegalität entstand, auch ein bisschen zu viel verlangt wäre. In der „etablierten“ Kunst spätestens seit den 1970er Jahren gängiges Mittel, entdecken die Urban-Art-Künstler die Beteiligung des Publikums gerade erst.
Im Zentrum der Idee steht das Projekt „Ganzfeld“ der Niederländer Krista Burger und Kenneth Letsoin in einem neu geöffneten Raum in der Sinteranlage. Das Künstlerduo bietet die kreative Mitarbeit zur Ausgestaltung des Industriedenkmals an, indem das Publikum Stoffbahnen bemalen darf, welche die beiden Kunstschaffenden dann im Raum drapieren und ihn in völlig neuem Gewand erlebbar machen.
Etwas schade ist die Aufgeräumtheit der Möllerhalle. Das kunterbunte „Chaos“ vergangener Biennale-Ausgaben ist der Ruhe eines White Cubes, also eines klassischen Museumsraumes, gewichen. Wo früher zahllose Werke hingen, geht es jetzt geruhsam zu, fast schon leer mutet es an. Das ist ein bisschen schade, der Eindruck des Biennale-Epizentrums geht ein bisschen verloren. Dabei ist das Gezeigte hochkarätig. Zu sehen sind etwa Werke des angesagten Künstlerkollektivs Moses & Taps, die aus Eisenbahnteilen und einer Anti-Graffiti-Folie für Züge einen Waggon nachbauen, der sich als zweidimensionale Fläche zu entmaterialisieren scheint.
Spannend ist, wie oft die Stars der Szene sich offenbar viel Zeit genommen und sich mit der Völklinger Hütte und ihrer Umgebung auseinandergesetzt haben. So hat der Ukrainer Alksko eine Stahlwerkssilhouette mit Himmelsdarstelllungen des russischen Romantik-Malers Iwan Aiwasowski verschmolzen. Matteo Fluido setzt mit seinen grafischen Elementen futuristisch-architektonische Kontrapunkte in bestehende Zeichnungen englischer Schlösser. Diese Idee überträgt er auf Fotografien von Arbeiterhäusern in Völklingen.
Dass Urban Art auch politisch kraftvoll sein kann und immer auch Kritik an herrschenden Verhältnissen übt, beweist eine Gemeinschaftsarbeit von Baptiste Debombourg und David Marin. Das Werk „Marx“ ist eine bildgewaltige Konsumkritik. Die beiden Künstler haben eine gewöhnliche Plastiktüte vollständig mit Gold überzogen und in einem Glaskasten ausgestellt. Die Tüte als Inbegriff von Konsum und Massenproduktion wird mit Gold überzogen zum Symbol für Reichtum. Diese Paradoxie macht die Spannung des Werkes aus, die museale Präsentation überhöht das Werk zusätzlich.
Ähnlich kapitalismuskritisch auch der Brite Benjamin Irritant, dessen Hasenmenschen uns auf dem Gelände des Weltkulturerbes begegnen. Die menschlichen Figuren mit Hasenköpfen tragen Slogans zur Schau, die unser Tun immer wieder und wieder hinterfragen: „We want our planet back“, „throw out our leaders“ oder „it‘s all gone weired again“.
Eines der auffälligsten Werke auf dem Gelände ist der mächtige gotische Spitzbogen von Ox. Das fünf mal sechs Meter große Werk bietet einen Durchblick auf die Industriearchitektur und schafft Zusammenhänge aus religiöser und Industriearchitektur. Der Titel „Obus gothique“ wirft aber eine andere Assoziation auf. Das französische Wort „Obus“ bedeutet „Granate“ und so wird aus dem gotischen Bogen die Silhouette einer Fliegerbombe. Das erinnert daran, dass die Stahlindustrie nicht unwesentlich an der Produktion von Massenvernichtungswaffen beteiligt ist und war.
Ein ähnliches visuelles Paradoxon schafft auch die Berliner Crew „Rocco und seine Brüder“. Sie setzen Glasfenster mit religiösen Motiven in einen Panzer und erinnern damit an die wenig segensreichen Verstrickungen von Religionen in Kriege.
Wie schon im Jahr 2022 wächst die Urban Art Biennale auch in diesem Jahr aus dem Werk in die Stadt. Der Stadtspaziergang empfiehlt sich schon deshalb, weil er Hütte und Stadt in Bezug zueinander setzt und die von postindustrieller Tristesse erfasste Stadt erlebbar macht. Viele Künstlerinnen und Künstler haben in der Stadt kleine und große Werke hinterlassen, die es nun zu entdecken gilt. Das reicht von Miniaturmalerei auf Stromkästen über wandfüllende Arbeiten bis zu Interventionen im öffentlichen Raum. Fast schon flehend klingt es, wenn Deana Kolencikova aus der Leuchtreklame mit der Aufschrift „Orthopädie“ ein „Do not die“ transformiert. Das Duo Burger/Letsoin lässt die Fenster der ehemaligen Röchling-Bank in fröhlichen Farben aufleuchten und Mathieu Tremblin erzählt mit den „Voelklinger Chronicles #2“ Geschichten der Stadt.
Partizipation bei der Urban Art Biennale ist vor allem das aktive Forschen und Entdecken, auf das sich das Publikum einlassen muss. Geht man auf das Angebot von Kurator Frank Krämer ein, dann hat man großen Spaß. Mit den schon aus früheren Biennalen bestehenden Werken sind 150 Arbeiten von 71 Kunstschaffenden zusammengekommen.
Urban Art Biennale, bis 10. November 2024, Weltkulturerbe Völklinger Hütte
Öffnungszeiten: Montag bis Sonntag, 10 bis 19 Uhr