François Schwamborn: Ordnung und Chaos, Moderne Galerie, 2024
François Schwamborn: Ordnung und Chaos, Moderne Galerie, 2024
30. März 2024

Chaos als kreativer Bruch

Die Moderne Galerie zeigt zwei Installationen des deutsch-französischen Künstlers François Schwamborn und schafft ein Erlebnis für das Auge.

Seit dem Amtsantritt von Andrea Jahn scheint ein wenig Bewegung in die Ausstellungspolitik des Saarlandmuseums zu kommen. Es ist unverkennbar, dass Jahn bemüht ist, saarländischen Künstlerinnen und Künstlern mehr Raum zu geben. Seit Ernst-Gerhard Güses Weggang aus Saarbrücken im Jahr 2003 wurden diese sträflich vernachlässigt. Gerade erst ist eine Ausstellung mit Werken von Annegret Leiner zu Ende gegangen und im Herbst das Museum den 100. Geburtstag von Oskar Holweck mit einer Retrospektive feiern. 

An diesem Familiensonntag eröffnet nun bei freiem Eintritt eine kleine, aber feine Ausstellung mit zwei Werken des deutsch-französischen Künstlers François Schwamborn, der 1986 in Saarbrücken geboren wurde. Damit wird einem jungen Künstler aus der Region breiter Raum eingeräumt. Und das im Buchstabensinne, denn Schwamborn darf den kompletten Saal im Obergeschoss bespielen. 

Der ist zweigeteilt. Im ersten Raum zeigt Schwamborn ein riesiges Video unterlegt von einem atmosphärischen Sound, den sein Bruder Florian komponierte. Auf der großen Wand tauchen Bildwelten auf, wachsen, blühen auf und vergehen, eine endlose Reihung von Bildern aus Chaos und sich strukturierender Ordnung, die wieder im Chaos aufgelöst wird. Die Bilder erinnern an organische und natürliche Formen wie Kristalle und Pilzmyzelien. Die Bilder sind computergeneriert und angelehnt an den Turing-Mechanismus des britischen Mathematikers Alan Turing, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in seinen Arbeiten zur theoretischen Biologie beschrieb, wie Systeme spontan Strukturen bilden. Damit konnte er die Entstehung von farbigen Mustern auf dem Fell von Tieren wie Zebras oder Giraffen erklären. Über verschiedene Parameter kann der Künstler intervenieren und den Prozess der Rekursion begrenzt steuern.

Schwamborn befasst sich in seinen aktuellen Arbeiten mit der schöpferischen Kraft von Chaos, die für ihn eng mit dem Leben verknüpft sind. Für ihn ist das Chaos nicht negatives, ihn stört eher ein Übermaß an Ordnung. Zugleich arbeitet er immer wieder mit der menschlichen Wahrnehmung und deren Grenzen.

Die Arbeit des ersten Raumes nennt Schwamborn „Deterministisches Chaos“. Sie ist schön anzuschauen und hat eine wunderbar meditative Komponente. Man kann wohl stundenlang zuschauen und es wird nie langweilig. Das kleine Aber: Richtig vom Hocker haut es einen nicht, die Idee rekursiver Systeme in der Kunst auch nicht neu. 

Ganz anders die Arbeit im zweiten Raum, welche die ganze Klasse von Schwamborn offenbart. Der Raum ist dunkel, die lange Fensterfront mit schwarzer Folie zugeklebt. Licht fällt nur durch viele zwei Millimeter große, senkrechte Schlitze. Wenn sich das Auge an das fahle Licht gewöhnt hat, entdeckt man am Boden ein langes Becken mit Wasser. Immer wieder setzt ein sirrendes Geräusch ein. Das stammt von Lüftern, die Wellen auf die spiegelglatte Oberfläche des Wassers blasen und so die streng gerasterte Ordnung der „Lichtstäbe“, die sich im Wasser spiegeln, bricht und verzerrt. „Ordnung und Chaos“ nennt Schwamborn die vielschichtige Arbeit, aus der sich auch den Titel der Ausstellung generiert.

Die Lichtschlitze bringen Ordnung in das Chaos des Lichteinfalls, ihre scheinbar unregelmäßige Anordnung entspricht dem Rhythmus einer Sinuswelle. Die Reflexion im Wasser verstärkt den strengen Rastereindruck noch. Erst die Lüfter, der menschengemachte kreative Eingriff, schafft Chaos in der Ordnung.

Schwamborn hatte die Installation als „Analog Shader“ schon 2016 mit Lichtschnüren inszeniert, die neue Umsetzung ist aber um einiges besser. Damals sorgten Wassertropfen für Chaos auf der Wasseroberfläche.

Spannender ist die neue Arbeit, weil die wechselnden Lichtverhältnisse zu immer neuen Bildern führen. Ähnlich wie bei der ersten Videoinstallation im Nebenraum reiht sich hier ein Bild an das andere, es entsteht eine endlose Abfolge von Bildern im Wasser. Hier ist es jedoch nicht der Computer, der die Bilder generiert, sondern das menschliche Auge. Die Differenzen entstehen durch Licht- und Wetterverhältnisse, aber auch durch den Betrachter selbst und dessen Bewegung, Position und Auseinandersetzung mit dem Werk.

Ein interessantes Phänomen des Werkes entdeckt man erst nach dem Hinweis des Künstlers. Die Lichtschlitze verbinden innen und außen des Raumes, geben aber nur einen fragmentierten Blick nach draußen frei. Geht man jedoch schnell an der Glasfront vorbei, verbindet das Gehirn die Einzelbilder des Auges zu einem schwarzweißen Panorama des Außenraumes.

François Schwamborn: Ordnung und Chaos, 3. März bis 13. Oktober 2024, Moderne Galerie, Saarbrücken

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